Wir haben ein Berührungstabu
KleinVerlag 1991
Pieper 1993
Aus dem Vorwort von Margarete Mitscherlich:
“…. Durch die Vermittlung Ingrid Kleins vom KleinVerlag habe ich mich im März dieses Jahres mit der Ostberliner Schriftstellerin Brigitte Burmeister in Frankfurt am Main getroffen. Wir haben ausführlich miteinander gesprochen. Die Schilderung ihres Lebensweges hat mir und wird, wie ich hoffe, auch anderen ein besseres Bild über die vergangenen und gegenwärtigen vierzig
DDR-Jahre vermitteln. Ihre Interpretation der DDR-Geschichte eröffnet einen untypischen und deswegen umso interessanteren Blick auf die wiedervereinigten Deutschländer. Sie als Wissenschaftlerin, die sich vor
einigen Jahren entschlossen hat, nur noch als freie Schriftstellerin zu arbeiten, gehört ganz sicher nicht zu den durchschnittlichen DDR-Bürgern, was aber den allgemeinen Erkenntniswert nicht mindert, im Gegenteil; erst die intellektuelle Reflexion und Analyse ermöglichten eine Annäherung an ein Gesamtbild. An Brigitte Burmeisters Reaktionen ist zu spüren, wie
gekränkt viele Ex-DDR-Bürger sind, wenn wir sie als vorgestrig erleben, als Menschen, die sich seit den fünfziger Jahren nicht verändert haben…
Neben der Kernfrage, ob wir jetzt eine ostdeutsche zweite Etappe der Unfähigkeit zu trauern erleben, haben wir in unserem Gespräch über die doppelte deutsche Psyche versucht herauszufinden, wie es zu den wechselseitigen Vorurteilen kommt. Warum beispielsweise im Westen alle Ostdeutschen für naiv und anspruchsvoll zugleich gehalten werden, während umgekehrt im Osten alle Westdeutschen als arrogant und oberflächlich gelten. Es ist ziemlich klar, dass sich die »Wessis« in den »Ossis« selber sehen, so wie sie einmal waren, und die »Ossis« desillusioniert sind von der Fremdheit, die zwischen ihnen und den dereinst idealisierten »Wessis« besteht. So wurde thematisiert, ob die wechselseitige Fremdheit durch ein gegenseitiges Berührungstabu entstanden ist, woher dieses kommt und wie es zukünftig abgebaut werden könnte. Interessiert hat uns, ob es inzwischen durch die mehr als vierzigjährige Trennung zwei verschiedene deutsche Mentalitäten gibt und wie man die kollektive Depression begrenzen kann.
Ganz wichtig war mir, etwas über die Geschlechterverhältnisse zu erfahren. Wie sich das Zusammenleben von Frauen und Männern im Sozialismus im einzelnen gestaltet hat, ob die von staatswegen verordnete Emanzipation den Frauen zu mehr Selbstbewusstsein verholfen hat und wie die Männer damit gelebt haben. Was die fast hundertprozentige Berufstätigkeit der Frauen gesamtgesellschaftlich und individuell bewirkt hat und wie sich jetzt die Arbeitslosigkeit auswirken wird. Wie die neue westliche Bilder- sprich PornoInflation verkraftet wird, kurz, wie die persönlichen, die sozialen, die sexuellen Verhältnisse in der ehemaligen DDR waren und sich entwickeln werden….”